Ich bin 1940 aus der Schule gekommen, zwei Jahre gelernt... Im Kriegsjahr mußten wir ja nur Herrenfriseur machen, weil ja keine anderen da waren. Vom Damenfach haben wir fast gar nichts mitbekommen. 1943 im Februar zum Militär, 1948 im September aus Ägypten nach Hause. Da ich aus westlicher Gefangenschaft kam, hatte man Angst vor den Russen, das war klar. Dann habe ich 1955 den Laden hier gefunden. Der Friseurladen ist hier schon seit 1911. Der Sohn meines Vorgängers war Anfang der fünfziger Jahre abgehauen, nach drüben. Er hat das richtig gemacht - damals. Dazu habe ich - ehrlich gesagt - keinen Mut gehabt. Mut wohl, aber ... ich hab gesagt: “Jetzt hauste ab, wo du die Meisterprüfung gemacht hast.” Und nachher war es so um sechzig ja vorbei. Ich habe einen harten Stand gehabt, im Vierteljahr dreimal Preisprüfung. Für Einemark-fünfunddreißig Haareschneiden und dann auch noch Preisprüfung machen. Sie hätten ja fünf Pfennige zuviel nehmen können, nicht? Das war hart. Da kamen sie zur Preisprüfung. Setzten sich hin, ließen sich bedienen - auch bei den Frauen. Jede zehn Pfennig, jeder Haarlack und Haarglanz je fünfzehn Pfennig, mehr durfte nicht genommen werden. Als Genscher auf einmal sagte, dass wir ausreisen dürfen, könnte ich heute noch heulen. Ich habe das gesehen, was sich hier so abspielte. Dass die mal nachgeben würden, da habe ich keine Hoffnung gehabt. Man kanns nicht fassen, dass man sich jetzt frei bewegen kann und dass ich keine Angst haben brauche, dass hier einer von der Stasi hereinläuft. Da kam abends um halb sechs einmal einer rein - seriöser Herr, Schlips um, hatte ein gutes Auftreten und fragte, ob ich noch Haare schneiden könnte. Ein gutes Jahr habe ich ihn bedient, ohne zu wissen, dass er Chef vom Staatssicherheitsdienst hier war. Der hat mich nicht einmal was gefragt. Politisch gesehen habe ich überhaupt versucht, mich nicht anzulegen. Ich habe nur dies versucht, dass ich mich und meine Familie so verhältnismäßig durchgeschlängelt habe.
(Walter Messing, Friseurmeister, Sangerhausen)